Dienstag, 9. Februar 2016

Winterstürme - Elisabeth Büchle


In einer stürmischen Winternacht des Jahres 1866 findet der Tierarzt Lukas Biber, unweit seines Gutshauses, eine halb erfrorene junge Frau. Sie hat eine Kopfverletzung und kann sich an nichts erinnern. Sie weiß weder, wer sie ist, woher sie stammt noch, wie sie in den Schwarzwald gekommen ist. Ihr Dialekt lässt vermuten, dass sie aus der Gegend um Wien kommt, aber da ist noch ein weiterer Akzent zu hören, den Lukas nicht deuten kann. Der Witwer bietet der jungen Frau an, für ihn und seine kleine Tochter als Magd zu arbeiten, bis sie ihr Gedächtnis wieder erlangt und weiß, wohin sie gehört. Lukas nennt sie Theresa, manchmal auch gerne „Fräulein Fuchs“ (wegen ihrer roten Haare), da sie ihren wirklichen Namen nicht kennt.
Schnell lebt sich die junge Frau im Gutshaus ein und ist froh, dort leben und für die kleine Anne sorgen zu dürfen, aber insgeheim leidet sie darunter, keine Vergangenheit und keine Identität zu haben.

Ein zweiter großer Erzählstrang führt nach Wien, zur Familie des österreichischen Botschafters Wieland. Dass ihr Sohn Thomas heimlich, neben seinem Musikstudium, für das Außenministerium arbeitet und spioniert, davon wissen die Wielands nichts, nur seine Schwester Marika hat Thomas eingeweiht.
Eines Tages ist Marika spurlos verschwunden...

Ich verrate sicher nicht zu viel, denn es ist von Anfang an kein Geheimnis, dass es sich bei Theresa eigentlich um die verschwundene Marika handelt. Das war mir schon von Anfang an klar. So richtig fesselnd sind jedoch die Zusammenhänge und die folgenden Entwicklungen.
Mit der temperamentvollen, rothaarigen jungen Frau, die unter Amnesie leidet, hat der Roman eine starke, eigenwillige und dabei sehr liebenswerte Protagonistin. Besonders ihre Wortgefechte mit dem eigenbrötlerischen Lukas haben mir sehr gefallen. Der Tierarzt hat den Verlust seiner geliebten Frau noch immer nicht verwunden. Seine Freunde erzählen, dass er sich seit deren Tod verändert hat und niemanden an sich heran lässt. Aber Theresa lässt sich nicht einschüchtern, sondern bietet dem mürrischen Mann Paroli und lockt ihn aus der Reserve. Die Art, wie die Entwicklung zwischen den beiden beschrieben ist, hat mir sehr gefallen, denn die Annäherung erfolgt eher zaghaft und wird verständlicherweise immer wieder von Theresas Gedächtnisverlust überschattet, denn obwohl sie sich im Gutshaus wohl fühlt, in ihrer neuen Umgebung Freunde gefunden hat und auch Lukas und seine kleine Tochter immer mehr lieb gewinnt, so weiß sie eben nicht, was oder wer in ihrem früheren Leben auf sie wartet. Ihr innerer Zwiespalt, die verschiedenen Reaktionen ihrer Mitmenschen auf die Gegebenheit und die Entwicklung neuer Freundschaften, das alles wird sehr feinfühlig und realistisch beschrieben.
Dazwischen erfährt man auch mehr über die Familie Wieland, in der Hauptsache dreht sich dieser Erzählstrang um Thomas, der nicht aufgibt und unermüdlich nach seiner Schwester sucht. Auch er knüpft neue Kontakte und erlebt Dinge, die sein Leben grundlegend verändern.

Den Rahmen zu der mitreißenden Handlung, die aufs Ende zu immer mehr an Spannung zunimmt, bildet das Zeitgeschehen rund um den deutschen Krieg. Die politischen Spannungen zwischen Österreich und Preußen und die daraus resultierenden militärischen Auseinandersetzungen werden hier sehr anschaulich erklärt, indem die Gegebenheiten immer wieder ganz dezent in den Dialogen der Protagonisten auftauchen. So erfährt man sehr viel über diese Zeit und kann auch die Auswirkungen auf private Schicksale sehr gut nachvollziehen.
Es ist ein vielschichtiger Roman, denn in der an sich kurzweiligen Handlung werden viele problematische Themen angesprochen. Hier geht es um Amnesie, um Trauer, um Vorurteile, und man lernt besondere Notsituationen kennen, wie sie in der damaligen Zeit sicher nicht untypisch waren. Wie immer in den Romanen von Elisabeth Büchle spielt auch hier das Thema Glauben und Religion eine große Rolle, ohne dabei allzu dominant im Vordergrund zu stehen. Die meisten der Charaktere im Buch sind religiös und leben ihren Glauben ganz in der Art, wie man es zur damaligen Zeit sicher allgemein getan hat.

Winterstürme“, im Jahr 2012 bei Weltbild erschienen, wurde bereits fünf Jahre vorher bei Gerth Medien veröffentlicht, damals unter dem Titel „Die Magd des Gutsherrn“. Das frühere Coverbild zeigt eine junge Magd, die einen Apfel schält. Dieses Cover ist zwar schön, aber meiner Meinung nach passt das Bild von „Winterstürme“ besser zu der Protagonistin, da es deren Charakter und Situation realistischer widerspiegelt.
Dies war Elisabeth Büchles zweiter Roman, und es ist mittlerweile schon so, dass ich mich darauf einstelle, wenig Zeit für andere Dinge zu haben, solange ich ein Buch der Autorin lese, denn man ist so tief in der Handlung drin und muss ständig darüber nachdenken, zumindest mir geht es so, immer wenn ich einen „Büchle“ zur Hand nehme.





Durch das winterliche Cover und den Titel eignet sich das Buch gut für die Jahreszeiten-Challenge, an der ich teilnehme, und da der Roman schon vor über fünf Jahren erschienen ist, passt er zur #GoldenBacklist Challenge.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

******************Wichtiger Hinweis!!!**********************************

Ab dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO).

Mit Abgabe eines Kommentars erklärst Du Dich einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Setzen eines Hakens für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärst Du Dich ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.

Weitere Informationen findest Du hier:
Google Datenschutzerklärung
meine Datenschutzerklärung

Bei Fragen wende Dich bitte an klusi56@googlemail.com